Die grüne Bundestagsfraktion hat in dieser Frage mit einem Video (Min 6.18)) endlich Klarheit geschaffen: Beim Kampf gegen „Desinformation“ gehe es nicht nur um Fake News, sondern - wie die Abgeordnete Mihalic erklärt - auch um die Unterdrückung unbequemer Wahrheiten. Denn selbst wahre Begebenheiten könnten so in die Öffentlichkeit gebracht werden, „dass sie desinformierende und destabilisierende Wirkung haben.“
Quellen:
https://norberthaering.de/news/mihalic-von-notz/
https://www.youtube.com/watch?v=JdbTDIC6de8&t=349s
Da fragt sich nun der Untertan, wie er das vermeiden kann. Und hier könnte die CDU in Gestalt des Thüringer Spitzenkandidaten Mario Voigt weiterhelfen. Er forderte am 24.04.24 im Landtag „verwirkbare Social Media Lizenzen für jeden Nutzer, um im Netz für Anstand zu sorgen.“
Die Reaktion darauf: Die Alternativmedien meldeten sich zu Wort. Ansonsten: Das Schweigen der Lämmer. Nichts über Social Media bei der dpa, der Süddeutschen, der Thüringer Allgemeinen.
Auf dem Landtagsserver („Thüringen Monitor“ am 24.4.2024) ist Voigts Rede abrufbar (ab ca. 1h:23min), in der er auch seine „Lösungen“ vorstellt, die vor allem darauf hinauslaufen, dass falsche Nutzerprofile nicht nur verboten, sondern gleich zur Straftat gemacht werden. Also endlich mal „Butter bei die Fische“. Außerdem sollen Behörden entscheiden dürfen, wer sich im Internet öffentlich äußern darf, denn „Gefährdern“ soll die Erlaubnis hierzu entzogen werden können. Und damit das Internet nicht einseitig von übermäßig kritischer, sogenannter Desinformation überschwemmt wird, will er auch noch an die Algorithmen der Plattformen ran. Und Voigt ist mit seinen Ideen nicht allein. Die parteilose Justizsenatorin des schwarz-roten Berliner Senats fordert, „das Einbringen von Desinformationen“ unter Strafe zu stellen. Einen EU-Vorschlag dafür gebe es schon.
Quellen:
https://norberthaering.de/propaganda-zensur/voigt-social-media-lizenzen/
https://live.thueringer-landtag.de/Veranstaltung/Plenarsitzung_2024_133-135
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/berlin-justizsenatorin-felor-badenberg-sabotage-der-demokratie-soll-straftat-werden-li.2209729
Auch das Weltwirtschaftsforum (WEF) fordert Zensur auf sozialen Medien. Der Auslöser dafür – geradezu rührend: Die sinkende Zufriedenheit junger Menschen, die im World Happiness Report von Gallup (Marktforschungsinstitut USA) und UN festgestellt wurde. Und da seien – laut WEF - die Unternehmen der sozialen Medien und die Regierungen gefragt. Man brauche strengere Richtlinien, um die Verbreitung von Negativität und Fehlinformationen einzuschränken. Wie gut, dass die Plattformen schon durch den Digital Services Act (Gesetz für digitale Dienste) der EU verpflichtet sind, „schädliche Inhalte“ an der Verbreitung zu hindern. Nicht auszudenken, was passierte, wenn wir erführen, dass der Kaiser nackt ist…
Quellen:
https://norberthaering.de/propaganda-zensur/weltwirtschaftsforum-negativitaet/
https://worldhappiness.report/ed/2024/
Wo wir gerade beim Digital Services Act (DSA) sind: Ergänzend gibt es dazu den Digital Market Act (Gesetz für digitale Märkte) und – ganz neu – ein Medienfreiheitsgesetz (Media Freedom Act), das für alle Medien gilt – also auch für die Presse.
Das erklärte Ziel dabei: Den Schutz von Journalisten verbessern und die Freiheit der Medien verteidigen. Allerdings soll die EU-Kommission dabei direkten Zugriff auf Inhalte im Netz bekommen. Die Verlegerverbände kritisieren deshalb die Gesetzgebung. Von Seiten des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) hieß es nach der Einigung, dass eine behördliche Aufsicht über die Presse etabliert werde, bei der auch noch die EU-Kommission mitreden will. Zudem sollten Verlage nicht mehr über redaktionelle Inhalte entscheiden dürfen, aber weiter für alle Inhalte voll verantwortlich sein. Und für das Plattforminternet werde die Zensur legaler Presseveröffentlichungen durch den DSA gesetzlich gebilligt und festgeschrieben.
Dabei steht in Frage, ob die EU überhaupt zuständig ist. Medienpolitik ist Sache der Mitgliedsstaaten. Das allerdings war schon im Februar 2022 kein Hinderungsgrund, als der Europäische Rat nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine die russischen Kanäle RT und Sputnik verboten hat.
Das Gesetz kommt also. Es baue „auf der überarbeiteten Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste auf und erweitert ihren Anwendungsbereich auf Radio und Presse“, so die EU. Bislang waren die Landesmedienstellen für den privaten Rundfunk sowie seit 2020 auch für Online-Medien zuständig sind. Letztgenanntes wird von Juristen als verfassungswidrig bewertet. Über den Umweg Brüssel erweitern die deutschen Landesmedienanstalten mit dem Medienfreiheitsgesetz nun quasi ihre Zuständigkeit auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und eben die Presse.
Zurück zur Desinformation, die nach Aussage des WEF derzeit das größte weltweite Risiko darstellt. Bei ihrer diesjährigen Rede in Davos hat Ursula von der Leyen das Thema aufgegriffen. Sie sehe das „Funktionieren des Binnenmarktes für Mediendienste“ durch systematische Desinformation bedroht. Nun – der Rückgriff auf den Binnenmarkt muss wohl sein - sonst wäre die EU nicht zuständig.
Im Medienfreiheitsgesetz wird Desinformation nur mittelbar definiert. Um die genaue Definition zu finden, muss man über den „EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation“ aus dem Jahr 2018/2022 zu einer Mitteilung der Kommission an das EU-Parlament aus dem gleichen Jahr vordringen. Dort steht:
„,Desinformation‘ sind nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel des wirtschaftlichen Gewinns oder der vorsätzlichen Täuschung der Öffentlichkeit konzipiert, vorgelegt und verbreitet werden und öffentlichen Schaden anrichten können. Unter ,öffentlichem Schaden‘ sind Bedrohungen für die demokratischen politischen Prozesse und die politische Entscheidungs-findung sowie für öffentliche Güter wie den Schutz der Gesundheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger, der Umwelt und der Sicherheit zu verstehen. Irrtümer bei der Berichterstattung, Satire und Parodien oder eindeutig gekennzeichnete parteiliche Nachrichten oder Kommentare sind keine Desinformation.“
Wer feststellt, was „nachweislich falsch oder irreführend“ ist, was „öffentlichen Schaden“ anrichtet, wer also als Wahrheitsministerium fungiert, wird dort nicht weiter ausgeführt.
Geplant ist ein strukturierter Dialog, den das Gremium mit Plattformbetreibern, Medien und Zivilgesellschaft jährlich veranstalten soll. Dabei soll es insbesondere auch um „die Einhaltung von Selbstregulierungsinitiativen zum Schutz der Nutzer vor schädlichen Inhalten, einschließlich Desinformation sowie der ausländischen Informationsmanipulation und Einmischung im Informationsraum“ gehen.
Wenn das nicht reicht, keine Panik - gestehen die neuen Kompetenzen Brüssel doch ganz grundsätzlich zu, Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen und Internet zu regulieren. Was an Pressefreiheit übrig bleibt, das existiert dann nur noch von Brüssels Gnaden.
In diesem Zusammenhang ist eine Anmerkung des ehemaligen Richters Manfred Kölsch interessant. Er formulierte in einem umfangreichen Artikel zum Digital Services Act die Beobachtung, „dass falsche und irreführende Informationen nicht einen Gesetzesverstoß beinhalten müssen“.
Der zweite Abschnitt dieses Beitrags folgt inhaltlich dem Artikel von Helge Buttkereit auf Multipolar und wurde gekürzt, mit kleinen Kommentaren versehen und redaktionell bearbeitet.
https://multipolar-magazin.de/artikel/medienfreiheitsgesetz
Weitere Quellen:
https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/library/2018-code-practice-disinformation
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52018DC0236&from=en
https://netzwerkkrista.de/2024/01/16/meinungsfreiheit-ein-auslaufmodell/
*Der Begriff „Neudenk“ ist dem Buch „1984“ von George Orwell entnommen. Es beschreibt eine totalitäre Gesellschaft in der die Sprache nach und nach verändert wird, so dass man bestimmte Gedanken eines Tages nicht mehr denken kann.